Tabu ist ein polynesisches Wort, dessen Übersetzung uns Schwierigkeiten bereitet, weil wir den damit bezeichneten Begriff nicht mehr besitzen. Den alten Römern war er noch geläufig, ihr sacer war dasselbe wie das Tabu der Polynesier. Auch das hagos der Griechen, das Kodausch der Hebräer muß das nämliche bedeutet haben, was die Polynesier durch ihr Tabu, viele Völker in Amerika, Afrika (Madagaskar), Nord- und Zentral-Asien durch analoge Bezeichnungen ausdrücken.
Sigmund Freud. Studienausgabe Band IX. Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion, hrsg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey, Frankfurt am Main 1974, 287–444, 311.
Uns geht die Bedeutung des Tabu nach zwei entgegengesetzten Richtungen auseinander. Es heißt uns einerseits: heilig, geweiht, andererseits: unheimlich, gefährlich, verboten, unrein. Der Gegensatz von Tabu heißt im Polynesischen noa = gewöhnlich, allgemein zugänglich. Somit haftet am Tabu etwas wie der Begriff einer Reserve, das Tabu äußert sich auch wesentlich in Verboten und Einschränkungen. Unsere Zusammensetzung „heilige Scheu“ würde sich oft mit dem Sinn des Tabu decken.
Die Tabubeschränkungen sind etwas anderes als die religiösen oder moralischen Verbote. Sie werden nicht auf das Gebot eines Gottes zurückgeführt, sondern verbieten sich eigentlich von selbst; von den Moralverboten scheidet sie das Fehlen der Einreihung in ein System, welches ganz allgemein Enthaltungen für notwendig erklärt und diese Notwendigkeit auch begründet. Die Tabuverbote entbehren jeder Begründung; sie sind unbekannter Herkunft; für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständlich, die unter ihrer Herrschaft stehen.
Wundt (1906, 308) nennt das Tabu den ältesten ungeschriebenen Gesetzeskodex der Menschheit. Es wird allgemein angenommen, daß das Tabu älter ist als die Götter und in die Zeiten vor jeder Religion zurückreicht.
(-Wundt 1906 = W. Wundt, Mythus und Religion, Teil II (Völkerpsychologie, Bd. 2), Leipzig.)
Mythos?!
Die Geschichte ist der Mythos der bewußten Menschheit und der Krieg ihr blutiges Ritual.
Rita BISCHOF, Entzauberte Geschichte, in: Theodor Lessing, Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen. Mit einem Nachwort von Rita Bischof, München 1983, 265–291, 265.
humorloser Heidegger
Persönlich habe ich Heidegger kaum gekannt. Einmal hab‘ ich in Marburg – wie es dazu kam, ist mir entfallen – bei H.s übernachtet. Die Unterhaltung ließ sich nach dem sehr einfachen Nudel-Abendessen ganz gut an. Denn ich zitierte, erst einmal ohne den Autor zu nennen, Voltaires herrliches Wort: „Es genügt nicht zu schreien, man muß auch Unrecht haben“, das sogar ihn, den total Humorlosen, amüsierte. Als ich aber erklärte, daß das Wort von Voltaire stamme, machte zuerst sie, daraufhin auch er ein schiefes Gesicht. Völlig war der Abend aber dadurch verdorben, daß ich in harmlosestem Tone fortfuhr, natürlich gelte symmetrisch auch das Wort: „Es genügt nicht zu murmeln, man muß auch recht haben.“ Während sie natürlich überhaupt nichts verstand, blickte er mich einen Moment lang haßerfüllt an. Er fühlte sich durchschaut. Denn es war ja seine tägliche Taktik, durch nahezu unhörbares Murmeln eine totale Stille im Saal zu erzwingen und dadurch den Hörern einzureden, daß alles, was sie mindestens akustisch mitkriegten, auch „unverborgen“, also wahr, nein: die Wahrheit, sein müßte.
Günther Anders, Über Heidegger, hrsg. von G. Oberschlick in Verbindung mit W. Reimann als Übersetzer. Mit einem Nachwort von D. Thomä, München 2001, S. 11.
Neufund Amazonen-Mosaik
Oben das derzeit einzige Foto eines sensationellen Fundes, ein großes Fußbodenmosaik aus Rastan in Syrien. Laut BBC ist das gesamte Mosaik 20x6m groß, vermutlich zeigt das Foto oben nur einen Ausschnitt – ggf. etwa die Hälfte, da einerseits Herakles und Hyppolyta, die Königin der Amazonen dargestellt sein sollen und außerdem Neptun und zahlreiche seiner Geliebten.
¡Watch this space for commentary!
Kierkegaard … ist tiefsinnig
Heiberg bemerkte in seinem Anschrei aus Anlaß von »Entweder-Oder«, daß es Bemerkungen darin gäbe, von denen man nicht recht wüßte, ob sie tiefsinnig wären oder nicht. Das ist der große Gewinn, den Professor Heiberg und Konsorten haben, daß man von dem, was sie sagen, im voraus weiß, bevor man es hört, daß es tiefsinnig ist. Zum Teil hat es seinen Grund darin, daß man bei ihnen selten oder nie einen einzigen primitiven Gedanken findet. Was sie wissen, leihen sie von Hegel. Und Hegel ist ja tiefsinnig – ergo ist das, was Professor Heiberg sagt, auch tiefsinnig. Auf diese Weise kann jeder Theologiestudent, der sich in seiner Predigt auf die Bibel beschränkt, der Tiefsinnigste von allen werden; denn die Bibel ist doch wohl das tiefsinnigste Buch.
(IX A 162 – JJ 165) Søren Kierkegaard, Geheime Papiere. Aus dem Dänischen übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Tim Hagemann, Frankfurt am Main 2004, S. 43.
Kierkegaard über … Shakespeares Julius Caesar
Wenn ich mich recht dessen vergewissern will, wie elendig es ist, in dem Sinne für die Menschen wirken zu wollen, daß man meint, irgendwann im Sichtbaren zu ernten, – dann lese ich die Szene in Shakespeares Julius Caesar, in der Brutus und Antonius nacheinander über Caesars Leiche reden.
IV A 172 – JJ 175, zitiert nach Søren Kierkegaard, Geheime Papiere. Aus dem Dänischen übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Tim Hagemann. Mit einem Essay von Klaus Harpprecht, Frankfurt am Main 2004, S. 44.
Die Szene bei Shakespeare, von der hier die Rede ist, ist übrigens Akt 2, Szene 3!
Vgl. https://youtu.be/101sKhH-lMQ?si=eYp4_n5SOHxsVRSB, Marlon Brando als Antonius.
Die alte Heimat …
BBC News – The grim truth behind the Pied Piper
http://www.bbc.com/travel/story/20200902-the-grim-truth-behind-the-pied-piper
Chandler über … das Telefon
Ein Telefon übt so etwas wie einen Zwang aus. Der Mensch unserer Epoche, den nicht mehr der Teufel reitet, sondern die Technik, liebt es, verabscheut es und hat Angst vor ihm. Aber er behandelt es immer mit Respekt, selbst wenn er betrunken ist. Das Telefon ist ein Fetisch.
Raymond Chandler, Der lange Abschied, 1954, S. 204.
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Hello world!
Ich bin Eike und wer das hier findet, hat Glück gehabt (oder Pech?!) – jedenfalls wird das hier die online-Sammlung meiner Lesefrüchte … get it? 🍏🍐🍒🥜🥫🥭.
Viel Vergnügen bei der Lektüre.
URL zum Bild, das ich bei GitHub gefunden habe: https://octodex.github.com/images/octocat-de-los-muertos.jpg. Danke, octodex und GitHub Design Team.